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GRUNDLAGEN DER GESTALTUNG 
UND EXPERIMENTELLES ENTWERFEN

“Inkubator, geborgener Raum und ideales Klima für Entwicklungs- und Wachstumsprozesse - so nennt sich die Grundklasse für Grundlagen der Gestaltung und Experimentelles Entwerfen an der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste Stuttgart.

In dieser Brutmaschine, die auf ein anschließendes Studium in Architektur oder Industrial Design hinführt, geht es nicht um das Erlernen und Einüben vorgegebener gestalterische Prinzipien und Methoden, sondern vielmehr darum, sich einer genuin ästhetischen Praxis zuzuwenden. Erste intuitiv-gestalterische Schritte zielen auf eine Sensibilisierung für formale, materielle, visuelle und haptische Aspekte von Gestaltung ab, wobei die Offenheit des Produzierens im Verlauf des ersten Studienjahres nicht selten in einer forschenden Radikalisierung im Umgang mit Materialien, Methoden und Technologien mündet.” 

Bader, B. (2018): "Von Brutmaschinen und Brutbeschleunigern" in „Inkubator - Formen ästhetischen Spielens“ - Katalog, EnBW Energie Baden-Württemberg AG (Hrsg.) / Stuttgart, 2018 · 11. Juni 2018

Über das Spielen, Sehen und Machen
Prof. Fahim Mohammadi

Unsere Vorstellungskraft stellte sich seit je her als unsere wertvollste Ressource, als eine einzigartige Fähigkeit heraus, die im heutigen Bildungssystem nicht abgefragt, sondern meist mit vorgegebenen Lösungswegen umgangen wird. Es scheint Ziel zu sein, Ergebnisse zu produzieren, die regelförmig und standardisiert sind. Es findet viel mehr ein Wissenstransfer denn eine Wissensproduktion statt.

Akzeptierend und ausgehend von Vorstellungen darüber, was Ausbildung, gesellschaftlicher Bedarf und Nutzung und wirtschaftliche Zweckmäßigkeit bedeuten, fehlt es uns meist an Kategorien und Schemata als Möglichkeitsbedingungen von Erkenntnis und Wahrnehmung, die Voraussetzung für Kreativität und Innovation sind. Derartige Muster stellen in unserer Denkweise jedoch eigentlich nichts Neues dar, sie sind vielmehr schon in uns angelegt. Vor Allem in der Ästhetik wurden sie untersucht, verstanden, beschrieben und verglichen.[1]

In seinem 1750 erschienen Werk „Aesthetica" zum Beispiel, beschreibt Baumgarten den Begriff der cognitio sensitiva als ein besonderes, komplementär zur wissenschaftlich-begrifflichen Erkenntnis, ästhetisches Vermögen, das auf die Wahrnehmung komplexer Phänomene spezialisiert ist, nicht um sie zu analysieren, sondern um sie in Ihrer anschaulichen Fülle zu vergegenwärtigen. Kant fuhr später fort, dass es nicht darum ginge etwas zu bestimmen oder zu klassifizieren, sondern vielmehr darum, es in der Fülle seiner Merkmale wahrzunehmen und das Besondere in seiner Besonderheit zu erkennen. Man unterscheidet die sinnliche Erkenntnis des Besonderen von der begrifflichen, die sich aufs Allgemeine, eben den Begriff richtet. Diese sensitive Form der Wahrnehmung gibt es nicht nur angesichts von Kunstwerken. Sie kann, jederzeit operierend, helfen um die Individualität, die Besonderheit oder das Spezifische einer Situation oder eines Objektes zu erkennen.[2]


Um über den Wissenstransfer hinaus tatsächliche Wissensproduktion zu motivieren, müsste ein ausgewogenes Verhältnis von intuitiver und diskursiver Erkenntnis etabliert und gelehrt werden, das auf einer wechselseitigen Spannung zwischen Wissenschaft und Kunst basiert und andere Formen des Gegenstandsbezugs, die die Dimension dessen, was Baumgarten cognitio sensitiva genannt hat, in Rechnung stellt.
Erst die Wissenschaft der Neuzeit hat aus dem Experiment eine kontrollierte Anordnung gemacht, die ein Ergebnis produziert, um Annahmen zu bestätigen oder zu widerlegen. Die ästhetische Vorgehensweise könnte hier jedoch helfen, Forschung und Experiment wieder als zweckfreie Erkenntnistätigkeit zu verstehen, die neues Wissen produziert.
Es gilt daher, bei der Ausbildung kommender Generationen auch Freiräume zu schaffen, die Konvention und Zweck ausblenden um unkonventionelle Denk- und Schaffensprozesse einzuleiten.

Vor diesem Hintergrund versteht sich die Klasse „Grundlagen der Gestaltung“ in den Studiengängen Architektur und Industrial Design als Inkubator, der den Studierenden des ersten Studienjahres einen geborgenen Raum für diese ersten, intuitiv-gestalterischen Schritte bietet, diese aber gleichzeitig auch im Laufe des Jahres zu radikalisieren und konkretisieren vermag. Durch zweckfreies, intuitives und initiierendes Spiel am Material, werden die Studierenden frei von der Nötigung der Bestimmbarkeit, des instrumentellen Handelns, ihrer Pflichten und ihrer Neigungen. Erst durch das Spiel, dem Experimentieren, dem Beobachten und dem Erfassen legitimiert sich ihre Tätigkeit im Prozess und manifestiert sich in Form neuer Fragen und Ansätze ihrer eigenen Praxis.

Die in diesem Archiv abgebildeten Arbeiten sind Momentaufnahmen gestalterischer Prozesse von Studierenden die forschend tätig sind – forschend in einem ästhetischen Sinn und damit in einem Sinn, der nicht durch vorgängig gegebene Regeln bestimmt ist, sondern durch das ästhetische Spiel, dass seine eigene, innere Schlüssigkeit und sein Regelwerk im Prozess entwickelt.



[1] Vgl. M. Seel, Ästhetik des Erscheinens, Frankfurt am Main: Suhrkamp 2003, v.a. S. 16ff.

[2] A. G. Baumgarten, Theoretische Ästhetik, übers. U. hg. v. H. R. Schweizer, Hamburg 1983.






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